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Eine Schiffsreise zu den Berühmtheiten vergangener
Zeiten Von Olivier Toublan

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Seit fast 200 Jahren befahren Dampfschiffe den Genfersee. Die Ufer des Sees haben die verschiedensten Berühmtheiten angezogen, Künstler, Musiker, Maler, eine Handvoll Nobelpreisträger, abgedankte Könige, Fürsten und Helden.

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Mehr als hundert Jahre lang, im Grossen und Ganzen zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts, zählten die mondänen Kurorte an den Ufern des Genfersees, wie Montreux oder Glion, zu den exklusivsten Destinationen Europas. Zahllos die berühmten Reisenden, die einige Stunden oder Tage in Genf, Lausanne oder Evian verbracht haben. Es sind zu viele, um sie alle zu nennen.

Doch wir können noch immer die Spuren all jener finden, die geblieben sind, weil sie dem Charme der landschaftlichen Schönheit und der Lebensqualität verfallen sind, die die Ufer des Genfersees boten. Es ist eine echte Liste à la Prévert, in der wir Künstler, Musiker, Maler, eine Handvoll Nobelpreisträger, abgedankte Könige und Fürsten, Helden und sogar Frankensteins Monster finden. Wir laden Sie ein, mit uns auf die Reise zu gehen und sie alle kennenzulernen. 

Übrigens: Alle Orte, die wir vorstellen, sind vom Schiff aus zu sehen oder einfach von einer Anlegestelle der CGN aus erreichbar. Auch die Berühmtheiten, die wir Ihnen gleich vorstellen, könnten gut und gerne auf einem dieser erstaunlichen Schiffe gereist sein, die den See befahren. Und auch wir werden wir für unserem Besuch natürlich zu Wasser reisen.

 

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Genf  

Die ermordete Kaiserin

In Genf können Sie ganz nahe an der Anlegestelle die Statue von Sisi besuchen, der berühmten Kaiserin Elisabeth von Österreich.

Die Statue wurde an der Stelle errichtet, an der die Kaiserin im Herbst 1898 einem Attentat zum Opfer fiel, als sie zu einer Kreuzfahrt auf dem See aufbrach. Angesichts ihrer Stellung hätte sie Anspruch auf ein privates Transportmittel gehabt. Stattdessen entschied sie sich, inkognito zu reisen und ein Schiff der CGN, die „Genève“, zu besteigen. Leider keine gute Entscheidung. Ein italienischer Anarchist, der auf seine Sache aufmerksam machen wollte, stach ihr einem dünnen Dolch ins Herz. So dünn, dass die Kaiserin es zunächst – kaum ein Blutstropfen – gar nicht bemerkte, bevor sie zusammenbrach.

Sisi hatte im Hotel Beau-Rivage, gleich nebenan am Quai du Mont-Blanc 13 übernachtet. In dessen Stockwerken sind noch heute einige Gegenstände zu sehen, wie Handschuhe und Accessoires, die der Kaiserin gehört haben. Sie können sich sogar im gleichen Zimmer einmieten, in der Sisi einst ihre letzte Nacht verbracht hat.

 

Der erste Friedensnobelpreis.

Eine weitere Persönlichkeit, die die Stadt an der Spitze des Sees geprägt hat, ist ein echter Lokalheld, Henry Dunant. Der Name dieses Genfer Geschäftsmannes ist heute in der Schweiz etwas in Vergessenheit geraten. Nicht aber sein Werk: das im Jahr 1863 gegründete Internationale Komitee vom Roten Kreuz und die im Jahr 1864 unterzeichnete erste Genfer Konvention, die Regeln für den Schutz von Soldaten und Zivilisten bei bewaffneten Konflikten festlegt. Vier Jahre zuvor war Dunant geschäftlich nach Italien gereist und hatte das Schlachtfeld von Solferino besucht. Der Anblick der verwundeten und zurückgelassenen Soldaten bestürzte ihn so sehr, dass er sich schwor, etwas zu tun, um ihr Schicksal zu verbessern.

Im Jahr 1901 erhielt Henry Dunant in Anerkennung der Gründung der Einrichtung, die später die weltweit grösste Gruppe humanitärer Organisationen werden sollte, den ersten Friedensnobelpreis. Auch eine andere seiner Initiativen wäre dieses Preises wert gewesen. Denn das Rote Kreuz war nicht seine erste selbstlose Tat. Zuvor war der Genfer im Jahr 1852 nämlich einer der Gründer der Jugendorganisation CVJM, deren internationaler Sitz sich ebenfalls in Genf befindet.

Das Tourismusbüro organisiert für alle Interessierten thematische Führungen auf den Pfaden dieses Humanisten. Eine gute Gelegenheit, sein Geburtshaus in der Rue du Puits-Saint-Pierre 4 (dritter Stock) in der Altstadt zu besuchen, in dem auch das Rote Kreuz gegründet wurde. Das Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum finden Sie in der Avenue de la Paix 17.

 

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Vom Wasser aus...

Das Monster aus Genf
Es ist Zeit, den Standort zu wechseln und einen der grossartigen Dampfer der CGN in Richtung Lausanne zu besteigen. Während der Fahrt können wir all die hübschen herrschaftlichen Villen und kleinen Schlösser bewundern, die vor unseren Augen vorbeiziehen. Am dem rechten Ufer, in der Gemeinde Cologny, entdecken wir ein dreistöckiges, von Weinbergen umgebenes hübsches Anwesen mit grünen Fensterläden, die Villa Diodati. Nur wenige Menschen wissen, dass Mary Shelley während des verregneten Sommers 1816 in genau dieser Villa einen Roman geschrieben hat, der den Menschen im Gedächtnis bleiben sollte: Frankenstein. Im ursprünglichen Roman war Victor Frankenstein, der Erschaffer des Monsters, übrigens ein Genfer Gelehrter.

 

Ein königliches Exil

Und weiter bringt uns das Schiff. Wieder bewundern wir die Villen, die vor unseren Augen vorbeiziehen, während wir an all diese Fürsten und Könige denken, deren Zukunft die beiden verheerenden Weltkriege des 20. Jahrhunderts so radikal verändert und die sich dann an den Ufern des Genfersees niedergelassen haben. Ein Beispiel ist König Umberto II von Italien, der, nachdem er seinen Thron nach dem 2. Weltkrieg verloren hatte, in Genf verschied. Sein Sohn übrigens residiert noch immer in dieser Gegend.


Weiter auf dem Weg in Richtung Lausanne, in Aubonne, beschloss ein anderer König im Exil, Michael von Rumänien, sein Leben. Der Marktflecken liegt unterhalb eines Schlosses, dessen Bergfried vom Schiff aus zu sehen ist. Juan Carlos, der spätere König von Spanien, hat seine gesamte Kindheit in Lausanne verbracht, auch er im Exil. Die beeindruckende Villa seiner Grossmutter väterlicherseits, in der er damals lebte, erhebt sich über dem See. Auch König Bhumibol von Thailand lebte während seines Studiums in Lausanne. Hier liess er in Erinnerung an diese schönen Jahre einen kleinen thailändischen Pavillon im bezaubernden Park von Denantou errichten. Der Pavillon ist direkt nach dem Ablegen in Ouchy sehr gut vom Deck des Schiffs aus zu sehen, vor allem, wenn sich die Sonne glitzernd an seinen goldfarbenen Mauern spiegelt. Und auch der derzeitige thailändische König Rama X verbrachte gemeinsam mit seinen Eltern zwei Jahre in Lausanne.

 

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Das Eliteinternat
Und was haben fast alle dieser gekrönten Häupter gemeinsam? Sie sind im Institut du Rosey zur Schule gegangen, einer der exklusivsten und teuersten Privatschulen der Welt. Die Gebäude der Schule liegen direkt am Seeufer neben dem Hafen von Rolle und sind vom Schiff aus zu sehen, insbesondere der grossartige Konzertsaal mit seinem Kuppeldach. In den Klassenzimmern des Instituts und auf den Sportplätzen der Schule, hätte man im letzten Jahrhundert leicht auf Baudoin oder Albert II, Könige von Belgien, Karim Aga Khan, den religiösen Führer der Ismailiten, König Fu’ad von Ägypten, Mohammad Reza Pahlavi, den Schah von Persien, oder Fürst Rainier von Monaco treffen können.


Die Schweizer Villen am Genfersee beherbergten während fast des gesamten 20. Jahrhunderts eine Unzahl von Privatschulen für die Eliten des gesamten Kontinents. Heute sind sie fast alle verschwunden. Eine Ausnahme sind nur die Hotelschulen mit einem schönen Beispiel oberhalb von Montreux, in den prächtigen Gebäuden des Caux Palace, die vom See aus gesehen mit ihren eigenwilligen Türmen wie ein Schloss aus dem Feenreich aussehen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war dies das luxuriöseste Hotel der Schweiz und eines der prachtvollsten der ganzen Welt. Das Hotel ist von Montreux aus mit einer hübschen kleinen Bergbahn zu erreichen.

 

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Berühmte Schriftsteller

Endlich erreicht unser Schiff Lausanne. Für uns ist die Zeit gekommen, von den gekrönten Häuptern Abschied zu nehmen und uns der Literatur zuzuwenden. Zwischen der Hauptstadt des Kantons Waadt und dem, was wir den „Oberen See“ nennen (also dem östlichsten Teil des Genfersees) verweilten zahlreiche Schriftsteller – und nicht die unbedeutendsten. Auch eine beeindruckende Anzahl Literaturnobelpreisträger schätzte die Gegend, von den grossen Klassikern bis hin zu Volksschriftstellern. Von Georges Simenon und seinem Kommissar Maigret über Dostojewski und Hergé, dem Schöpfer von Tintin, bis hin zu Hugo Pratt (Corto Maltese).

 

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Der Gefangene von Chillon

Einige Kilometer nach Montreux erhebt sich mächtig und bedrohlich das berühmte Schloss Chillon, zu Anfang des 19. Jahrhunderts mit seinen Felsmauern, Türmen und Legenden das absolute Wahrzeichen der Romantik. Der Besuch dieses Schlosses war ein Muss für alle Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, die ein wenig von der Schweiz sehen wollten. Von Alexandre Dumas über den Amerikaner Henry James oder Gustave Flaubert bis hin zu Victor Hugo: Zahllose berühmte Besucher des Schlosses haben Chillon in ihren Reisetagebüchern, Romanen oder Kurzgeschichten erwähnt.

Die Anziehungskraft, die dieses Schloss auf sie ausübte, geht vor allem auf das berühmte Gedicht „Der Gefangene von Chillon“ zurück, das Byron 1816 verfasste. In diesem melancholischen Gedicht geht es um einen einsamen Gefangenen, der in seiner Gefangenschaft Trost im Traum und der Betrachtung der Natur sucht. Kurz, das Idealbild des romantischen Künstlers. Man kann sich kaum vorstellen, welchen Erfolg diese wenigen Zeilen Byrons während des gesamten 19. Jahrhunderts hatten und wie viele Touristen es dazu bewegte, das Schloss zu besuchen, nur um die Atmosphäre des Gedichts nachzuempfinden. Es muss in etwa so gewesen sein, als würde Beyonce heute einen Hit landen, in dem sie die Schönheit von Chillon preist.

 

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Die Eisjungfrau
Direkt nach dem Schloss Chilllon, in Villeneuve, hielt sich ein weiterer Schriftsteller auf, der noch heute gelesen wird und berühmt ist: Hans-Christian Andersen. Der berühmte dänische Erzähler verbrachte viele Sommer in der Schweiz und kam mindestens viermal an die Ufer des Oberen Sees.

Der Schriftsteller brachte von seinen Aufenthalten in Villeneuve eine Geschichte mit, die 1861 veröffentlicht wurde. „Die Eisjungfrau“ spielt sich teilweise auf der kleinen Insel Peilz ab. Dieses winzige Inselchen, auf dem eine majestätische Plantane wächst, die man noch aus fast hundert Metern Entfernung vom Ufer sieht, liegt vor dem Naturschutzgebiet Les Grangettes. Andersen erzählt, wie zwei junge Verlobte, ein Mädchen aus Bex und ein Jäger aus dem Wallis, am Vorabend ihrer Hochzeit auf die Insel fahren und am tödlichen Kuss der Eisjungfrau sterben.

Wir kehren um

Mit Hans-Christian Andersen haben wir in Villeneuve angehalten, praktisch am Ende der durch die Schiffe der CGN angefahrenen Strecke. Nur noch zwei Anlegestellen und wir sind in Saint-Gingolph, an der Grenze. Hier müssen wir umkehren. Und wir nutzen die Chance auf einige weitere Entdeckungen...

  

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Vielleicht machen wir einen musikalischen Stopp in Montreux?

In den letzten 50 Jahren haben sich praktisch alle Grössen der Jazz-, Pop- und Rockmusik in dieser Stadt und auf ihrem berühmten Festival ein Stelldichein gegeben. Und auch von diesen sind, verführt durch die Atmosphäre, die Landschaft und die Lebensqualität, so manche geblieben.

Das erschöpfte Idol
Der berühmteste dieser Stars ist zweifellos Freddie Mercury, dessen Statue, mit erhobener Faust, auf der Uferpromenade von Montreux aufragt. Der Sänger der Rockband Queen hatte hier ein Apartment im nahegelegenen Dörfchen Territet, Rue de Bon-Port 15, gekauft, dessen Schönheit er in einem seiner Stücke, „A Winter‘s Tale“, pries. Nicht das berühmteste der Gruppe, aber eine schöne Hommage an seine Wahlheimat: „Möwen fliegen über mich, Schwäne im Wasser, rauchende Schornsteine, und spielende Kinder, alles so ruhig und friedlich. Träume ich?“ 

Erschöpft und krank verbrachte Freddie Mercury das letzte Jahr seines Lebens bis zu seinem Tod im Jahr 1991 in Montreux. Die Gegend kannte er schon zuvor sehr gut und kam seit 1978 regelmässig hierher. Queen nahm hier sogar sechs Alben in den Mountain Studios auf, die sich damals im heutigen Casino Barrière am Seeufer befanden. Im Gebäude kann man heute ein kleines, der Band gewidmetes Museum besuchen.

Vom Rauch über dem See
Für Fans sind diese Mountain Studios ein mythischer Ort, an dem sich das Who is Who der Rockmusik die Klinke in die Hand gab. Viele haben hier Alben aufgenommen: Queen und ihre Bandmitglieder, wie bereits erwähnt, aber auch AC/DC, Iggy Pop, Status Quo oder die Rolling Stones. Sogar Michael Jackson hat dort einige Stücke seiner Scheibe „Blood on the Dance Floor“ aufgenommen. Und nicht zu vergessen David Bowie, der als Nachbar kam. Tatsächlich lebte der Sänger rund 20 Jahre in Lausanne und heiratete sogar im Rathaus der Waadtländer Hauptstadt. Er hatte das Château du Signal oberhalb der Stadt gekauft, eine sehr schöne Villa aus der Belle Epoque, die, wie man sagt, von einem russischen Prinzen errichtet wurde.


All diese Berühmtheiten der Rockmusik verdanken ihre Anwesenheit an den Ufern des Genfersees einer einzigen Person Claude Nobs, Gründer des Montreux Jazz Festival. Ausserhalb der Westschweiz und der Musikszene kennt niemand diesen Mann, hier jedoch war er ein wahrer Held. Im Übrigen ist auch er es, dem wir den bekanntesten Song verdanken, der diese Gegend feiert, das berühmte „Smoke on the Water“ der Rockband Deep Purple. Das Stück erzählt vom Brand des alten Casinos von Montreux im Jahr 1971, während eines durch Claude Nobs organisierten Konzerts von Frank Zappa. Die Band, die im Ort wohnte, um ihr Album „Machine Head“ aufzunehmen, wurde Zeuge des Zwischenfalls. Und sie erzählt davon im ersten Song ihres Albums. Der Song wurde ein phänomenaler Erfolg und erzählt die Katastrophe authentisch nach: der Rauch des brennenden Casinos, das zum Himmel lodernde Feuer und die Flammen, die sich im Wasser des Genfersees spiegeln.

 

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Der andere Schwanensee
Unmittelbar nach Montreux erreicht man den kleinen Ort Clarens. Auch Clarens hat mit zwei berühmten Gästen Musikgeschichte geschrieben, allerdings auf dem Gebiet der klassischen Musik. Der erste ist Pjotr Iljitsch Tschaikowski, der unsterbliche russische Komponist, der die Welt noch heute mit Balletten wie „Schwanensee“ oder „Der Nussknacker“ bezaubert. Tschaikowski verbrachte gegen Ende der 1870er Jahre mehrere Winter in Montreux, wo er in der Villa Richelieu logierte, die später zerstört wurde und an deren Stelle heute das Hotel Royal Plaza steht. Es wird erzählt, dass er sich ein Piano in den Salon der Villa stellen liess und dort seine Oper „Eugen Onegin“ komponierte.


Rund 40 Jahre später, im Jahr 1910, liess sich noch einmal ein russischer Komponist in Clarens nieder, Igor Strawinsky. Auch er verbrachte dort mehrere Winter, diesmal in der Villa Pervenche. Hier ging er an den Quais spazieren und komponierte die wesentlichen Teile seines Meisterstücks, „Das Frühlingsopfer“. Im Jahr 1915 zog der Komponist dann nach Morges um, in eine wunderschöne Villa in der Rue Saint-Domingue 2, die heute ein Hotel ist und inzwischen den passenden Namen „La Maison d‘Igor“ trägt.

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Der zensierte Maler

Im charmanten Ort La Tour-de-Peilz entdecken wir angenehme Uferpromenaden, einen kleinen Hafen und ein altes Schloss, das heute das Schweizer Spielmuseum beherbergt. Hier fand im Jahr 1873 der berühmte französische Maler Gustave Courbet Unterschlupf, der wegen seiner politischen Ansichten aus seinem Heimatland fliehen musste. Courbet, dessen Werke heute die grössten Museen der Welt schmücken, ist bekannt für seine naturgetreuen Landschaften, seine Dorfszenen und sein sehr berühmtes Bild „Der Ursprung der Welt“, ein Aktgemälde, das seinerzeit wegen seiner Unverblümtheit einen derartigen Skandal auslöste, dass es über ein Jahrhundert lang zensiert wurde und nicht öffentlich gezeigt werden durfte.


Anders als viele andere Berühmtheiten in dieser Gegend, die mehr oder weniger zurückgezogen lebten, nahm der Lebenskünstler Gustave Courbet wirklich am Leben des Ortes teil. Eine Art Hauptquartier war für ihn das Café du Centre am Place des Anciens-Fossés, das es heute leider nicht mehr gibt. Er wusste hier insbesondere die Atmosphäre und den Absinth zu schätzen. Sein Haus, Le Bon-Port in der Rue du Bourg-Dessous direkt am See, kann man dagegen noch immer bewundern. Es gibt einen kleinen Lehrpfad, mit dem man sowohl den Ort kennenlernen als auch die bevorzugten Plätze des Künstlers entdecken kann.

 

Charlies Lächeln

Das Schiff bringt uns zurück in Richtung Vevey und es ist an der Zeit, sich einer anderen Berühmtheit zu widmen, wahrscheinlich der bekanntesten, die sich je an den Ufern des Genfersees aufgehalten hat: Charlie Chaplin. Der Schauspieler verliess Anfang der 1950er Jahre die Vereinigten Staaten, um sich in Corsier niederzulassen, wo er das Manoir de Ban, ein prachtvolles Anwesen oberhalb des Genfersees, bewohnte. Hier verbrachte er die 25 letzten Jahre seines Lebens und ruht heute gemeinsam mit seiner Ehefrau auf dem kleinen Friedhof des Dorfes. Sein Haus jedoch wurde zu einem wunderbaren Museum zu Ehren dieses genialen Schauspielers. An der Seepromenade schaut eine Statue von Charlie, mit Spazierstock in der Hand und wie üblich schlecht gekleidet, mit ironischem Lächeln den vorbeiziehenden Schiffen zu.

 

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Die unbekannte Berühmtheit
Nicht einmal hundert Meter von Charlies Statue entfernt kann man das prächtige Gebäude bewundern, in dem heute das Alimentarium untergebracht ist, ein Museum, das ganz der Ernährung in all ihren Formen gewidmet ist. Das zugehörige Restaurant offeriert eine exklusive kulinarische Reise, auf der sich die wichtigsten Spezialitäten aller Schweizer Kantone entdecken lassen. Das Gebäude, in dem sich das Museum befindet, ist aber nicht nur wegen seiner eleganten Architektur interessant. Es ist auch ein Denkmal der weltweiten Wirtschaftsgeschichte, denn hier arbeitete ein Mann, dessen Name auch heute noch auf der ganzen Welt bekannt ist: Henri Nestlé, Gründer des gleichnamigen Unternehmens, eines der grössten Nahrungsmittelkonzerne des Planeten.


Der deutschstämmige Unternehmer richtete in dem Gebäude, in dem sich heute das Alimentarium befindet, in den 1920er Jahren das erste Verwaltungszentrum des Konzerns ein. Man kann übrigens noch immer die Büros und Sitzungszimmer besichtigen, die Henri Nestlé damals benutzt hat. Sie wurden unverändert bewahrt. Auch einige zeitgenössische Packungen des Produkts, mit dem der Konzern seine ersten Erfolge feierte, können noch bestaunt werden: die Säuglingsnahrung „Kindermehl“. Heute hat das multinationale Unternehmen nur wenige hundert Meter entfernt seinen Sitz. In den 1960er Jahren zog Nestlé in beeindruckende modernistische Gebäude des Schweizer Architekten Jean Tschumi direkt am Seeufer um.

 

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Lausanne

Der Friedhof Bois-de-Vaux

Die Modeschöpferin Coco Chanel verbrachte rund zehn Jahre in Lausanne und kam auch nach ihrer Rückkehr nach Paris regelmässig hierher zurück. 1971 wurde sie auf dem Friedhof Bois-de-Vaux beigesetzt. Ihr mit weissen Begonien dekoriertes Grab hat sie angeblich selbst entworfen.


Der nahe am See gelegene Friedhof im Art-Déco-Stil der 1930er Jahre gilt als einer der schönsten modernen Friedhöfe Europas. Nicht weit vom Grab von Coco Chanel ruht Eugène Viollet-le-Duc, ein berühmter Architekt, der die Restaurierung antiker Bauwerke zu seinem Spezialgebiet gemacht hat. Er ist der Schöpfer des berühmten Vierungsturms der Kathedrale Notre-Dame de Paris. Viollet-le-Duc verstarb 1879 in Lausanne.

 

Die bekannteste Persönlichkeit, die auf dem Friedhof Bois-de-Vaux ihre letzte Ruhe gefunden hat, ist aber zweifellos Pierre de Coubertin. Der Erneuerer der Olympischen Spiele lebte rund zwölf Jahre in Lausanne, bevor er nach Genf umzog, wo er im Jahr 1937 starb. Auch den Sitz des Olympischen Komitees richtete er in Lausanne ein, und so sind hier noch heute viele Sportverbände ansässig, die in den schönen herrschaftlichen Villen in Ouchy in Seenähe residieren. Natürlich gehört für alle Sportfans auch ein Besuch des Olympischen Museums am Quai d'Ouchy 1 zum Pflichtprogramm.

 

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Noisetteschokolade

Wenn Sie nicht aus der Schweiz kommen, kennen Sie den Namen Charles Amédée Kohler wahrscheinlich nicht. Und doch: Die Welt wäre nicht die gleiche ohne ihn. Kohler war ein Abenteurer des Geschmacks, der im Jahr 1830 in seinem Geschäft in Lausanne die Noisetteschokolade erfand! Und das ist keine Kleinigkeit, wie Sie zugeben müssen. Kohler selbst machte übrigens ein Vermögen mit seiner Erfindung.

 

Leider gibt es heute keine Spur seiner Schokoladenmanufaktur mehr, die er in der Rue du Petit-Saint-Jean 10 im Stadtzentrum von Lausanne betrieb. Das gilt auch für das Geschäft seines Vaters ganz in der Nähe, eines Kolonialwarenhändlers, der die Produkte seines Sohnes vertrieb. Die Noisetteschokolade von Charles Amédée Kohler kann man dagegen noch immer kosten, auch, wenn sich der Firmenname nach Unternehmensverkäufen und Zusammenschlüssen inzwischen geändert hat. Man findet diese Schokolade in der gesamten Schweiz. Es ist die berühmte Tafelschokolade von Cailler, heute Teil von Nestlé.

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Évian 

Ein Treffpunkt für alle von Rang und Namen

Es ist an der Zeit, den See zu überqueren und Evian zu besuchen, ehemals einer der berühmtesten und beliebtesten Kurorte Europas. Auch hier wäre es kaum möglich, alle Persönlichkeiten zu nennen, die sich in den Palästen des Ortes entspannt und in den traumhaften Jugendstilbädern erholt haben, die man auch heute noch besuchen kann. In Evian gingen Aristokraten, Industrielle, Staatsmänner und gekrönte Häupter ein und aus.

Aber es waren Schriftsteller, die in der Belle Epoque den Ruf der Stadt geprägt haben, allen voran Marcel Proust. Der Verfasser von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ liebte diese Gegend sehr, in der einer seiner besten Freunde lebte, und verbrachte hier zwei Sommer. Etwas mehr als hundert Jahre ist das nun her.

Wasser, wertvoll wie Gold

Heute geniesst der Name Evian natürlich durch das gleichnamige Mineralwasser, eines der bekanntesten weltweit, internationales Ansehen. Obwohl das Wasser von Evian bereits ab Anfang des 19. Jahrhunderts wegen seiner therapeutischen Wirkung geschätzt wurde, dauerte es noch bis in die 1960er Jahre, bis es den Weg aus den Apotheken fand und in Supermärkten verkauft wurde. Dies geht auf die Initiative von Antoine Riboud zurück, dem Leiter eines Nahrungsmittelkonzerns, aus dem einmal Danone werden sollte.

Die Familie Riboud kaufte auch das Hôtel Royal zurück, das über Evian thront, und retteten damit den letzten Palast an dieser Station. Der Palast ist in der Sportwelt wegen der alljährlich ausgetragenen „Evian Championship“ berühmt, eines der prestigeträchtigsten Turniere im Frauengolf. Feinschmeckern ist es als mehrmaliger Veranstaltungsort des Finales von „Top Chef“ bekannt, einer berühmten Fernsehshow, in der Küchenchefs gegeneinander antreten. Für alle, die zwischen zwei Dampfern etwas die Landschaft geniessen möchten, bietet sich die Terrasse des Palastes an (man erreicht ihn über eine kleine Seilbahn), von wo aus man einen aussergewöhnlichen Blick auf die Schweizer Seeufer hat.

 

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Auf Ihre Gesundheit!
Hier wollen wir uns mit einem Glas Wein in der Hand von Ihnen, liebe Reisende, verabschieden, während wir die grossartige Szenerie bewundern, die sich vor unseren Augen ausbreitet, und uns zum Lied der Sirenen der Dampfer der CGN entspannen. Auf der langen Liste der Persönlichkeiten, die die Geschichte des Genfersees geprägt haben, stehen noch viele weitere Namen. Doch von ihnen müssen wir ein andermal erzählen, vielleicht in einer späteren Ausgabe dieses Magazins. Bis dahin wünschen wir Ihnen eine gute Reise. Geniessen Sie jede Minute auf den atemberaubenden Dampfern der CGN. Auch wenn man es allzu leicht vergisst: Diese Schiffe sind aussergewöhnlich und auf der Welt nahezu einzigartig. Und schauen Sie genau hin. Wer weiss, vielleicht ist dieser gut gekleidete Russe, dieser Amerikaner mit seinem Glas Wein oder dieser Chinese, der neben Ihnen sein Eis geniesst, eine Persönlichkeit, von der eines Tages alle Welt spricht.